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sondern Stunden vergangen.
Er mußte sich diese Wahrheit laut wiederholen, um sie glauben zu können. Er hatte als Sekunden gezählt,
was Minuten gewesen waren, er hatte geglaubt, eine verrückt gewordene Uhr in der Brust zu haben, die
zu rasen begonnen hatte, und dabei hatte seine innere Uhr ihren Lauf verlangsamt. Seit wer weiß wann
wartete er, immer im Glauben, Pater Caspar sei eben erst eingetaucht, auf eine Kreatur, der längst die
Luft ausgegangen war. Seit wer weiß wann wartete er auf einen Körper, der leblos irgendwo in der
Bucht lag.
Was konnte passiert sein? Alles, alles, was er sich gedacht hatte - und was er vielleicht durch seine
unglückbringende Angst selbst herbeigeführt hatte. Die hydrostatischen Prinzipien des Paters konnten
illusorisch gewesen sein, vielleicht kommt das Wasser in eine Glocke genau von unten herein, zumal
wenn der darin Befindliche die Luft mit den Füßen hinaustritt, was wußte Roberto schon wirklich vom
Äquilibrium der Flüssigkeiten? Oder vielleicht war der Aufprall zu heftig gewesen und die Glocke war
umgekippt. Oder Pater Caspar war gestolpert. Oder er hatte sich verirrt. Oder sein über siebzigjähriges
Herz hatte, ungleich seinem Eifer, versagt. Und schließlich, wer weiß, ob nicht in jener Tiefe das Gewicht
der Wassermassen die lederne Glocke zusammendrückt, wie man eine Zitrone auspreßt oder eine
Bohne aus der Hülse quetscht?
Aber wenn er tot wäre, müßte dann nicht sein Körper nach oben kommen? Nein, er war ja noch an den
Eisensohlen verankert, von denen sich seine schmächtigen Beine erst lösen würden, wenn die vereinte
Wirkung des Wassers und vieler gefräßiger kleiner Fische ihn zu einem Skelett reduziert haben würde ...
Dann plötzlich hatte Roberto eine strahlende Intuition. Was zermarterte er sich das Hirn? Natürlich,
Pater Caspar hatte es ihm doch gesagt, die Insel, die er da vor sich liegen sah, war nicht die Insel von
heute, sondern die von gestern. Jenseits des Meridians war noch der vorige Tag! Konnte man erwarten,
auf jenem Strand dort, der ja noch gestern war, jemanden auftauchen zu sehen, der heute ins Wasser
gestiegen war? Natürlich nicht! Der Alte war am Montag morgen eingetaucht, aber wenn es auf der
Daphne Montag war, dann war es auf der Insel dort drüben noch Sonntag, und folglich würde Roberto
den Alten erst am Morgen seines Morgen dort auftauchen sehen, wenn es auf der Insel Montag
geworden sein würde ...
Ich muß bis morgen warten, sagte er sich. Und dann: Aber der Pater kann nicht einen Tag warten, die
Luft reicht nicht aus! Und dann wieder: Aber nur ich bin es, der einen Tag warten muß, der Pater ist
einfach in den Sonntag zurückgegangen, als er die Meridianlinie überschritten hatte. Mein Gott, aber
dann ist die Insel, die ich sehe, die von Sonntag, und wenn er am Sonntag dort angelangt ist, müßte ich
ihn doch schon sehen! Nein, alles falsch. Die Insel, die ich sehe, ist die von heute, es ist unmöglich, daß
ich die Vergangenheit sehe wie in einer magischen Kugel. Nur dort auf der Insel ist es gestern, nur dort.
Aber wenn ich die Insel von heute sehe, müßte ich ihn dort sehen, ihn, der im Gestern der Insel
angelangt ist und nun einen zweiten Sonntag lebt ... Und der übrigens, ob nun gestern oder heute, seine
aufgeschlitzte Glocke am Strand hätte zurücklassen müssen, aber ich sehe sie nicht. Aber könnte er sie
nicht auch in den Wald mitgenommen haben? Wann? Gestern. Also noch einmal: Was ich sehe, ist die
Insel von Sonntag. Also muß ich bis morgen warten, um ihn zu sehen, wie er am Montag dort ankommt
...
Wir könnten sagen, daß Roberto endgültig den Verstand verloren hatte, und nicht ohne Grund, denn wie
er auch rechnen mochte, es wäre nicht aufgegangen. Die Paradoxe der Zeit bringen auch uns um den
Verstand. Daher war es normal, daß er nicht mehr wußte, was er tun sollte - und so begnügte er sich
damit, zu tun, was jeder, zumindest als Opfer der eigenen Hoffnung, getan hätte: Ehe man sich der
Verzweiflung anheimgibt, wartet man lieber erst noch auf den folgenden Tag.
Wie er das tat, läßt sich schwer rekonstruieren. Indem er auf Deck hin und her ging, indem er keine
Speise anrührte, indem er mit sich selbst redete, mit Pater Caspar und mit den Sternen, und vielleicht
auch, indem er wieder zum Branntwein griff. Tatsache ist, daß wir ihn am nächsten Tag früh- morgens
wiederfinden, während die Nacht verblaßt und der Himmel sich rötet, und dann nach Sonnenaufgang,
immer erregter, während die Stunden vorrücken, schon verstört zwischen elf und zwölf, dann völlig
fassungslos zwischen Mittag und Abend, bis er sich der Realität ergeben muß und diesmal ohne jeden
Zweifel. Gestern, ganz sicher gestern war Pater Caspar ins Wasser der Südsee eingetaucht, und weder
gestern noch heute war er wieder aufgetaucht. Und da das ganze Wunder des Antipoden-Meridians sich
zwischen gestern und morgen abspielt, nicht zwischen gestern und übermorgen oder morgen und
vorgestern, war es nun sicher, daß Pater Caspar nie mehr aus diesem Ozean auftauchen würde.
Mit mathematischer, ja kosmographischer und astronomischer Sicherheit war Robertos armer Freund
tot. Und Roberto konnte nicht einmal sagen, wo sein Körper war. Irgendwo da unten. Vielleicht gab es
kräftige Strömungen unter der Oberfläche, und der Körper war schon im offenen Meer. Oder vielleicht
gab es unter der Daphne einen Graben, eine Schlucht, die Glocke hatte sich hineingesenkt, der Alte
hatte von dort nicht heraussteigen können und hatte den wenigen Atem, der immer wäßriger wurde, zum
Hilferufen verbraucht.
Vielleicht hatte er sich, um zu fliehen, aus seinen Riemen gelöst, die noch luftgefüllte Glocke war mit
einem Satz nach oben gesprungen, aber ihre Eisenteile hatten den ersten Impuls gebremst und sie auf
halber Höhe festgehalten, wer weiß wo. Pater Caspar hatte versucht, sich von seinen Stiefeln zu [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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