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Tasse zum Mund zu führen, weil ich genau weiß, dass ich sie fallen lassen werde.
Ich lege mich total beängstigt auf ihr Bett. Das ist ein einziger Moment der Erwartung.
Ich richte mich auf, sie beugt sich zu mir runter und sagt:
»Du hast dich verändert.«
Ich sage: »Nein, du hast mich verändert.«
Ich knie auf dem Boden. Meine Handgelenke sind über meinem Rücken gekreuzt, mit stark haftendem
Panzertape an den Hals geklebt. Den Rest des Klebebands führt sie von den Handgelenken zwischen meine
Beine über die linke Schulter zurück zu den Fingerspitzen. Genau das Gleiche über die rechte Schulter.
Wenn sie das wieder abzieht, sind wir, ich würde fast sagen, back to the roots with the Enthäutung. Das alles
hat nicht das Geringste mit dem Begriff des »Coming of Age Dramolettes« zu tun. Damit sie sich nicht
zersetzt, nachdem sie vom Organismus getrennt wurde, gerbt man Haut. Mit Kaliumzyanid und Alaune, das
in Wasser aufgelöst und aufgetragen wird. Sie muss gespannt werden, das ist der Gerbungsprozess, nach
einer kurzen Weile wird sie fest, man muss sie dann immer weiter spannen und währenddessen natürlich
aufpassen, dass sie nicht zerreißt. Allerdings weiß ich nicht, ob ich das wirklich selber machen sollte, es ist,
na ja. Meine Hände werde ich sowieso nicht brauchen.
Es gibt Punkte in mir, die sie nicht berührt, zu denen sie keinen Zutritt hat.
Sobald ich mich einen Zentimeter bewege, zerreißen die Sehnen in dem Bereich zwischen Schulter und
Brustwand.
Man kann ihr ja leider keine Gewalt antun. Sie schweigt in einer mit Verantwortungslosigkeit gekoppelten
Geduld, sie schweigt einfach nur, absolut und total und ganz und gar mit ihren verborgenen,
unvorhersehbaren Präferenzen, die sie immer ganz weit abbringen.
Und das ist ein Sturm, der mich in eine Wüste verwandelt. Ein ziemlich stiller Sturm. Ich höre ausschließlich
auf ihr Schweigen, ich sage ihr, dass ich bluten muss, ich lerne aus all ihren Schwächen und folge ihr
überallhin.
Sie löscht die Neugierde aus. Sie tötet sie gerade.
Sprechen wir hier über Gefühle? Besteht irgendein Bedarf an Gefühlen? Was kann aus mir für sie
entstehen?
Ich muss mir vorstellen, und das ist grauenhaft, dass ich gezwungen werde, etwas zu empfinden, was ich
nicht kenne. Dass sie mich an Bewegungen bindet, von denen ich keine Vorstellung habe.
Ich bemerke auch nicht, dass sie mich von mir selber trennt. Sie fordert von mir weder Aufmerksamkeit noch
den geringsten Gedanken. Sie lenkt mich einfach nur grenzenlos ab.
Die Kehrseite eines Glaubens, die nicht der Zweifel ist sondern das Unwissen und die Fahrlässigkeit.
Sie richtet sich nicht an mich. Sie richtet sich eigentlich an niemanden, so weit bin ich inzwischen. Sie
spricht nicht mit sich selber und sie hat kein Gegenüber. Die weiträumigere und trotzdem einzigartigere
Existenz eines wandelbaren Kerns hört ihr zu, eine fast allgemeine, so als wäre das, was ich bis jetzt
gewesen bin, vor ihr zu einem »Wir« erwacht, Präsenz und vereinte Kraft geteilten Geistes. Ich bin etwas
mehr, etwas weniger als ich. Jedenfalls mehr als alle Menschen.
In diesem »Wir« stecken die Erde, die Gewalt der Elemente, ein Himmel, der nicht dieser Himmel ist, da ist
eine Empfindung von Vornehmheit und Stille, darin steckt auch die Bitterkeit einer finsteren Nötigung.
Das alles ist »Ich« vor ihr, und sie scheint fast nichts zu sein.
Ich starre auf ihren Mund, auf die Matratze, auf den Sonnenaufgang, auf die zweiundvierzig Anrufe in
Abwesenheit.Wenn ich irgendwann mal sterbe, wird vielleicht irgendetwas von mir übrig bleiben. Und dann
verfault der ganze Dreck. Oder auch nicht. Ich mache mir darüber ehrlich gesagt keine Gedanken. Ich habe
schon genug Probleme, und wenn ich jetzt auch noch ans Jenseits denke - na ja. Ist mir alles zu kompliziert
und zu esoterisch.
»Warum esoterisch? Tod ist Tod, was ist daran esoterisch?«
»Stimmt.«
Und das ist das Letzte, was wir zusammen haben. Ich weine, wenn du blutest. Und ich blute, wenn du
weinst. Ich lüge dich nicht an. Ich liebe, was du bist. Ich werde alles tun, um dir alles zu geben. Und ich sehe
immer in deinen Augen, wo du gewesen bist. Deine Augen. Deine Augen. Deine Augen. Deine Augen. Und
du sagst: »Deine Familie hatte recht. Du bist Dreck, den sie nur mit Schweigen aus der Welt schaffen
konnten.«
Liebe Mifti,
ich sehe die Sünde in deinem Grinsen. In der Form deines Mundes. Alles, was ich will, ist, dich in
schrecklichen Schmerzen aufgehen zu sehen. Obwohl wir uns nie wieder treffen werden, erinnere ich mich
an deinen Namen.
Ich kann nicht glauben, dass du mal so warst wie jeder andere. Du bist inzwischen kein Kind mehr, sondern
ein Abbild des Teufels. Du bist Dreck, den wir nur mit Schweigen aus der Welt schaffen können. Ich bete zu
Gott, dass mir irgendetwas Nettes einfällt, was ich über dich sagen könnte. Aber ich glaube nicht, dass das
noch geht.
Du bist Abschaum, Schatz, du bist die Krätze, und ich hoffe, dass du weißt, dass dein Lächeln inzwischen
Risse aufweist. Die Welt muss langsam mal einsehen, dass es Zeit für dich ist, zu gehen. Da ist kein Licht
mehr in deinen Augen, und dein Gehirn ist zu langsam. Ich wette, du schläfst immer noch wie ein Kleinkind
mit einem Daumen im Mund. Ich könnte zerfließen bei der Vorstellung, wie ich dir eine Faustfeuerwaffe da
reinschiebe. Es macht mich wirklich krank, wenn ich all die Scheiße höre, die du von dir gibst. In der Hölle
ist für dich ein Platz freigehalten. Ein Stuhl mit deinem Namen. Wenn du dich im Spiegel siehst, siehst du
dann, was ich sehe? Und, wenn ja, warum, verdammte Scheiße, WARUM GUCKST DU MICH DANN
IMMER NOCH AN?
Deine Mutter
Danksagung
Dank an Coco, Jonas Weber Herrera, Tjorven Vahldieck, Annika Pinske, Christiane Voss, Christian Fenske,
Juri, Kathrin, Jana R., Leo & Jan, Maren Ade, Gabriel, Leisha, Maria, Petra Eggers, Christoph, Pascal
Laugier und vor allem Carl Hegemann.
Besonderer Dank an Kathy Acker.
Der Abdruck auf S. 193 aus der Erzählung John Billy von David Foster Wallace erfolgt mit freundlicher
Genehmigung des Verlages (in: Kleines Mädchen mit komischen Haaren von David Foster Wallace . Titel der
Originalausgabe: Girl with Curious Hair ) [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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