[ Pobierz całość w formacie PDF ]

»Ich will Ihnen nichts vormachen. Der einzige Unterschied,
den ich kenne, ist der zwischen Coca-Cola und Pepsi. Wollten
Sie mit mir nicht über eine Modenschau sprechen?«
Die Offenheit des Mädchens schien den Araber positiv zu
beeindrucken. »Darüber sprechen wir nach dem Abendessen bei
einem Drink.«
Es entstand eine Pause, während sie sich gegenseitig taxierten
und die Gedanken des anderen zu erraten versuchten.
»Sie sind sehr hübsch«, brach der Araber das Schweigen.
»Wenn Sie sich zu einem Drink mit mir in meinem Hotel
-39-
entschließen können, zahle ich Ihnen tausend Franken.«
Maria schaltete sofort. War die Modelagentur schuld? War es
ihre eigene Schuld, hätte sie in bezug auf das Abendessen
genauer nachfragen müssen? Nein, die Agentur konnte nichts
dafür, und sie selbst auch nicht und auch nicht der Araber:
genauso liefen die Dinge eben. Plötzlich sehnte sie sich nach
dem sertão zurück und nach den Armen ihrer Mutter. Sie
erinnerte sich an Mailson, an den Abend in Rio, als er von den
üblichen dreihundert Dollar gesprochen hatte; damals war sie
geschmeichelt gewesen, für eine Nacht von einem Mann eine
solche Summe angeboten zu bekommen. In diesem Augenblick
jedoch wurde ihr bewußt, daß sie niemanden hatte, absolut
niemanden, mit dem sie sich beraten konnte; sie war allein in
einer fremden Stadt, und trotz ihrer zweiundzwanzig Jahre hatte
sie nicht genug Lebenserfahrung, um zu wissen, was sie tun
sollte.
»Kann ich bitte noch etwas Wein haben?«
Der Araber schenkte ihr ein, während ihre Gedanken schneller
reisten als der kleine Prinz zu den verschiedenen Planeten. Sie
war hierher gekommen auf der Suche nach Abenteuern, Geld
und vielleicht einem Mann. Sie war nicht naiv, sie kannte die
Männer und hatte erwartet, daß sie irgendwann einen solchen
Antrag bekommen würde. Trotzdem träumte sie weiter von
einer Karriere als Model, von Starruhm, einem reichen Mann,
einer Familie, Kindern, Enkeln, schönen Kleidern und einer
triumphalen Rückkehr in ihre Heimatstadt. Und sie träumte
davon, alle Schwierigkeiten allein mit ihrer Intelligenz, ihrem
Charme und ihrer Willenskraft zu meistern.
Aber die Wirklichkeit war kein Traum. Zur großen
Überraschung des Arabers brach sie unversehens in Tränen aus.
Der Mann wußte nicht, wie er reagieren sollte: seinem
Beschützerinstinkt nachgeben oder sich dafür schämen, daß
seine Begleiterin so aus der Rolle fiel. Er wollte gerade dem
Kellner winken, sofort die Rechnung zu bringen, als Maria
-40-
sagte: »Bitte nicht. Schenken Sie mir lieber noch etwas nach,
und lassen Sie mich ausweinen.«
Maria mußte an den Jungen denken, der sie um den Bleistift
gebeten hatte, und an den anderen Jungen, den sie mit
geschlossenem Mund geküßt hatte, an ihre Woche in Rio de
Janeiro, an die Männer, die sie benutzt hatten, ohne ihr etwas
dafür zurückzugeben, an die Leidenschaften und Lieben, die sie
auf ihrem Weg zurückgelassen hatte. Ihr Leben war, trotz der
vermeintlichen Freiheit, ein endloses Warten auf ein Wunder
gewesen, auf die wahre Liebe oder wenigstens ein
Liebesabenteuer mit Happy-End, wie im Film. Oder wie in den
Romanen, die sie gelesen hatte. Ein Schriftsteller hatte
behauptet, daß nicht die Zeit den Menschen verändere und auch
nicht die Weisheit - das einzige, was jemanden verändern könne,
sei die Liebe. So ein Unsinn! Wer das geschrieben hatte, kannte
nur die halbe Wahrheit.
Natürlich konnte die Liebe das Leben eines Menschen von
einem Augenblick auf den anderen ganz und gar verändern.
Doch nicht nur die Liebe brachte den Menschen dazu,
ungewohnte Wege einzuschlagen, sondern auch die
Verzweiflung. Ja, vielleicht konnte die Liebe jemanden
verändern, aber Verzweiflung schafft es schneller.
Was nun, Maria?
Sollte sie davonlaufen, so schnell wie möglich nach Brasilien
zurückkehren, Französischlehrerin werden und den Stoffhändler
heiraten? Oder sollte sie eine einzige Nacht etwas weitergehen
in einer Stadt, in der sie niemanden kannte und in der niemand
sie kannte? Und würden die eine Nacht und das schnell
verdiente Geld sie dazu verleiten weiterzumachen, so lange, bis
es kein Zurück mehr gab? Stand sie vor einer einmaligen
Gelegenheit, oder war dies eine Prüfung der Jungfrau Maria?
Der Blick des Arabers schweifte vom Bild Joan Miros zu dem
Tisch, an dem Fellini immer gespeist hatte, und weiter zur
-41-
jungen Garderobiere, zu den Gästen, die ein und aus gingen.
»War Ihnen das nicht klar?«
»Noch mehr Wein, bitte«, schluchzte Maria nur.
Sie betete, daß der Kellner nicht ausgerechnet jetzt an ihren
Tisch treten und die Rechnung bringen würde. Und der Kellner,
der alles von fern aus den Augenwinkeln beobachtete, betete,
daß der Mann und das Mädchen endlich zahlten, weil das
Restaurant voll war und Gäste darauf warteten, daß ein Tisch
frei wurde.
Nach einer Weile, die ihr selbst wie eine Ewigkeit vorkam,
sagte Maria: »Hatten Sie : ein Drink für tausend Franken9
gesagt?«
Ihre Stimme kam ihr selbst fremd vor.
»Ja«, antwortete der Araber, dem es schon leid tat, den
Vorschlag gemacht zu haben. »Aber ich möchte auf gar keinen
Fall& «
»Bitte verlangen Sie die Rechnung! Wir werden den Drink in
Ihrem Hotel nehmen.«
Wieder kam ihr die eigene Stimme fremd vor. Bis heute war
sie ein freundliches, wohlerzogenes, fröhliches Mädchen
gewesen und hätte nicht im Traum so mit einem Fremden zu [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

  • zanotowane.pl
  • doc.pisz.pl
  • pdf.pisz.pl
  • loko1482.xlx.pl